Bahn-Express

Harzer Gipswerke Robert Schimpf & Söhne, Gipsmühlenweg 38, 37520 Osterode

20.07.2012-info/ lr/ Das Gipswerk produziert seit 1862 Spezialgipse am westlichen Stadtrand von Osterode. Noch zu Beginn der 90er Jahre machte das Werk einen altertümlichen Eindruck, der eher an ein Freilichtmuseum erinnerte. Oberhalb der verwinkelt angelegten alten Werksgebäude befand sich eine überdachte Entladeanlage für die Feldbahn, die als Brückenkonstruktion angelegt war.

Vom Werk ausgehend führte die 750-mm-spurige Strecke über eine Spitzkehre in einen nahegelegenen Steinbruch, wo sich das Gleis in zwei kurze Äste aufteilte. Dort stand ein Schwingsieb das mittels Radlader beschickt wurde. Die Gipssteine fielen in den bereitgestellten Lorenzug, während sich das Unterkorn in 2-3 Loren auf dem Nebengleis ansammelte. Teilweise wurde der Lorenzug auch direkt per Radlader beladen. Die Lok zog meistens um die 10 Loren zur Entladeanlage, stellte sie dort ab und kehrte solo in den Bruch zurück. Dann holte sie die drei Loren mit Unterkorn ab und fuhr sie in ein Nebengleis, das kurz vor der Entladebrücke zu einer Kippstelle abzweigte. Dort wurden diese Loren entleert und der Zyklus begann nach Entleerung sämtlicher Loren von neuem. Im Einsatz stand die letzten Jahre eine Schöma CFL20 I, die interessanterweise über ein hydrodynamisches Wandlergetriebe mit Gelenkwellen verfügte – eine Antriebsvariante, die normalerweise bei Lokomotiven höherer Leistungsklassen anzutreffen ist. In einem abseits gelegenen Schuppen stand die letzten Jahre über eine ältere O&K MV0a, die als Reserve für Notfälle diente, jedoch kaum zum Einsatz kam.

Dieser recht aufwändige Betrieb endete im Frühjahr 1996. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Strecke in den Steinbruch aufgegeben und das Beladesieb direkt am Ende der Brückenkonstruktion aufgestellt. Die Gleise wurden an dieser Stelle auf rund 15 m Länge neu verlegt. Der Zug hatte nun lediglich noch die Aufgabe, auf einer Länge von rund 50 m zwischen Be- und Entladestelle zu pendeln. In früheren Zeiten muss hier noch wesentlich mehr los gewesen sein. Im umliegenden Gelände fanden sich überall noch Gleis- und Lorenreste und sogar ein alter Schrägaufzug ließ sich noch ausmachen. Zwischen 1927 und 1965 sind insgesamt vier Lokomotiven von O&K und Schöma für den Betrieb beschafft worden. Ab Mitte 1944 wurden vom Naziregime im Bereich der Steinbrüche umfangreiche Stollen für eine geplante Untertageraffinerie („Dachs IV“) aufgefahren. Dabei waren zunächst eine 600-mm-Bahn und später sogar eine 900-mm-Bahn mit Dampflokomotivbetrieb in Verwendung. Diese Aktivitäten endeten aber im Frühjahr 1945. Das hier eingesetzte Feldbahnmaterial gehörte aber nicht zum Gipswerk.

Um das Jahr 2000 herum wurde schließlich der Feldbahnrestbetrieb aufgegeben. Im Sommer 2003 wurden die beiden Lokomotiven an die Museumsfeldbahn Leipzig-Lindenau abgegeben, wo sie mittlerweile wieder betriebsfähig sind und auf 800 mm umgespurt im Einsatz stehen. In den letzten Jahren wurde der Steinbruch im Bereich der ehemaligen Feldbahnstrecke massiv erweitert, so dass sich heute praktisch keine Spuren mehr vom einstigen Betrieb finden lassen.

 


Literatur: Bahn-Express, Heft 1/94 und 2/96
Die Feldbahn, A. Christopher, 1995, Band 4

© Info von Lars Ridder